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Öl und Gas: besser klimafreundlich nutzen als verbieten

Öl und Gas: besser klimafreundlich nutzen als verbieten

Mit Verboten und Besteuerungsmaßnahmen möchte die globale Gemeinschaft die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Erdöl und Erdgas reduzieren und so den CO2-Ausstoß maßgeblich verringern. Diese Anstrengungen könnten aber einen Ansturm auf die verbleibenden fossilen Brennstoffreserven der Welt auslösen. Eine Studie von Kai A. Konrad und Kjell Erik Lommerud findet eine Lösung, um einen solchen „rush to burn“ zu bremsen oder umzukehren. Für den Erfolg der globalen Klimapolitik ist entscheidend, dass alternative klimaneutrale Verwendungsmöglichkeiten für die fossilen Ressourcen unserer Welt gefördert und weiterentwickelt werden.


© AA+W / Adobe Stock

Die Weltgemeinschaft steht in ihren Klimabemühungen vor einem Dilemma. Während Politiker versuchen, aus der Nutzung fossiler Brennstoffe auszusteigen, fürchten Ölstaaten, in Zukunft auf ihren Ressourcen sitzen zu bleiben. Wenn die Nachfrage nach Öl und Gas in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich drastisch abnimmt oder ein kompletter Ausstieg aus der Nutzung beschlossen werden sollte, sind die beiden Energieträger weitgehend wertlos. Stranded assets nennt man in den Wirtschaftswissenschaften solche Vermögenswerte, die dauerhaft von Wertverlusten bis hin zum Totalverlust gekennzeichnet sind. Diese Perspektive liefert den Besitzern großer Öl- und Gasvorkommen einen Anreiz, so schnell wie möglich zu fördern und zu verkaufen, um nicht auf stranded assets sitzenzubleiben. Der Marktwert und damit die Preise sinken drastisch. Öl und Gas zu verbrennen, wird damit deutlich billiger und wieder attraktiver, was den Ausstoß schädlicher CO2-Emissionen beschleunigt. Ein sogenannter „rush to burn“ hätte fatale Folgen und würde die Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel konterkarieren.

Zwar folgen Kriegs - und sanktionsbedingt der Gas- und der Ölpreis in den vergangenen Wochen nicht dem hier beschriebenen Muster. Lieferausfälle zu kompensieren dauert, verändert aber nicht die Gesamtmengen an Öl und Gas, die insgesamt und über die Zeit zur Förderung vorhanden sind. Insofern stehen diese Preiskapriolen nicht im Widerspruch zu den skizzierten Angebotsentscheidungen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu erwarten sind, wenn ein verbindliches und wirksames globales Klimaabkommen zustande kommt.

Kai A. Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen, und Kjell Erik Lommerud, Ökonomieprofessor an der Universität Bergen, veranschaulichen diesen Zusammenhang anhand eines formalen Gleichgewichtsmodells in ihrem Paper „Effective climate policy needs non-combustion uses for hydrocarbons“, das in “Energy Policy” erschienen ist. Sie zeigen: Je höher der künftig zu erwartende Rohstoffpreis ist, umso eher wird die Nutzung fossiler Energieträger für die CO2-intensive Verbrennung gestoppt. Doch wie lässt sich die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen aufrechterhalten, ohne weiterhin große Mengen an CO2 freizusetzen? Wie Kai A. Konrad und Kjell Erik Lommerud argumentieren, besteht der Ausweg aus dem Dilemma darin, Produkte aus Erdöl und Erdgas zu fördern oder weiterzuentwickeln, die einen geringen oder sogar negativen Beitrag zur CO2-Bilanz liefern.

Im Idealfall werden Öl und Gas zu wertvoll und zu teuer, um verbrannt zu werden

Solche klimafreundlichen oder klimaneutralen Produkte aus fossilen Energieträgern  würden  den Markt radikal verändern. Öl und Gas wären als Rohstoffe für zukünftige Produkte wertvoller, als sie derzeit sind. Der „rush to burn“ würde gestoppt. Kein Ressourcenland müsste seine Vorräte so schnell wie möglich fördern und zu Dumpingpreisen verkaufen, man könnte sich vielmehr mit der Förderung und dem Verkauf Jahrzehnte Zeit lassen. In der Folge wären Öl und Gas schon heute knapper und die Preise höher. Höhere Preise würden die Energiewende beflügeln, denn alternative klimafreundliche Energiekonzepte wären am Markt konkurrenzfähiger und ihre Innovation wirtschaftlich interessanter. Im Idealfall würden Öl und Gas zu wertvoll und zu teuer, um überhaupt noch verbrannt zu werden. Und ein internationales Klimaabkommen, CO2-Steuern oder Nutzungsverbote für Öl und Gas zu Verbrennungszwecken würden überflüssig.

Ein Zukunftsversprechen reicht aus, um den Ausverkauf zu stoppen

Auch wenn manche der wirtschaftlich interessanten klimaneutralen Produkte aus Öl und Gas erst in Jahren oder Jahrzehnten marktreif sein sollten, zeigen gleichgewichtstheoretische Überlegungen, dass die Wirkung auf dem Markt unmittelbar einsetzt . Das hat mit einer Besonderheit von Rohstoffmärkten zu tun. Der Ressourcenvorrat an Öl und Gas ist gegeben und endlich. Wer seinen Vorrat heute verschleudert, hat morgen nichts mehr zu verkaufen. So wie eine drohende Wertlosigkeit von Öl und Gas die schnellere Förderung beflügelt, führt die Perspektive einer wirtschaftlich attraktiveren zukünftigen Nutzung zu einer Angebotszurückhaltung der Ressourceneigner. Es lohnt sich, die Vorräte zu schonen und mit dem Verkauf zu warten. Auch diese Intuition lässt sich durch modelltheoretische Ergebnisse stützen.
Ohne klare klimafreundliche Nutzungsalternativen wären diese Überlegungen nur Glasperlenspiele. Was aber könnten die klimaneutralen Verwendungen für Öl und Gas sein?

Alternative klimafreundliche Nutzungen fördern und innovieren

Eine  der vielleicht interessantesten Ideen besteht laut Konrad und Lommerud in der Erzeugung von Wasserstoff aus Methan, das mit circa 75 bis 99 Prozent der Hauptbestandteil von Erdgas ist. Daran wird auch in der Max-Planck-Gesellschaft geforscht. Mit dem Verfahren der katalytischen Pyrolyse wird Erdgas weitgehend ohne Ausstoß von CO2 in zwei nützliche Stoffe zerlegt: in Wasserstoff, für den es in einer künftigen Wasserstoffwirtschaft eine große Nachfrage geben könnte, und in festen Kohlenstoff. Eine  rege Veröffentlichungsaktivität belegt Fortschritte bei der Produktion des „türkisen Wasserstoffs“. Die katalytische Zerlegung erfordert zwar Energiezufuhr, aber nur etwa ein Achtel der Energiezufuhr, die für die Gewinnung von „grünem Wasserstoff“ nötig ist, der derzeit in aller Munde ist.

Der Kohlenstoff wiederum kann in Form von Graphit oder Kohlenstoffnanoröhrchen (CNTs) erzeugt und traditionelle Baustoffe wie Aluminium, Stahl oder Beton ersetzen oder bei der Fertigung von Lithium-Ionen-Batterien genutzt werden. Dort lassen sich auf diese Weise weitere Emissionen reduzieren. Solche  Karbonmaterialien sind nicht nur verhältnismäßig leicht, sie haben auch andere, hochinteressante Materialeigenschaften hinsichtlich Leitfähigkeit, Elastizität und Festigkeit. Ersetzen sie beispielsweise traditionelle Konstruktionsmaterialien, leistet Erdgas/Methan einen zweiten Beitrag zur Klimapolitik.

Die Perspektiven für alternative Nutzungskonzepte für Erdöl sind den Autoren zufolge noch nicht so offensichtlich. Langlebige Kunststoffe wie Kunstfasern, Baudämmstoffe oder andere Plastikprodukte sind solche alternativen Nutzungen fossiler Energieträger – besonders, wenn es gelingt, diesen Produkten eine lange Lebensdauer zu geben. Die  Nutzungszyklen von Plastik sind nicht naturgegeben. Sie ließen sich ändern, ohne dass auf Erdöl als Rohstoff verzichtet werden müsste. Würden etwa Kunststoffprodukte aus Öl am Ende einer langen und hochwertigen Nutzung tief in die Erde verbracht, letztlich also dorthin zurück, von wo man das Rohöl zu ihrer Produktion einst entnommen hat, würde der Kohlenstoff dauerhaft gebunden, ohne negative Folgen für das Klima oder für die Gesundheit von Tier und Mensch.

Keine staatliche Förderung von Substitutionsprodukten

Was klimaneutrale Verwendungen von Öl und Gas angeht, sind Phantasie und Innovationswillen keine Grenzen gesetzt, argumentieren Konrad und Lommerud. Im derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Klima würden sich die Anreize aber eher auf die Suche nach Stoffen richten, die Plastik ersetzen können und nicht aus Erdöl hergestellt werden. Solche Substitute verdrängen oder verringern aber die künftige Nachfrage nach fossilem Öl und Gas. Ihre Entwicklung und preisgünstige Verfügbarkeit verschärfen insofern den „rush to burn“ und erhöhen in der Tendenz die CO2-Emissionen in der Gegenwart. Statt Plastik zu verbieten und die Entwicklung von Ersatzstoffen zu fördern, wäre es daher ratsam, die nachhaltige Nutzung von klimaneutralen ölbasierten Kunststoffen auszuweiten.

Mit den Kräften des Marktes zu einer erfolgreichen Klimawende

Der „rush to burn“ ist den Autoren zufolge ein echtes Hindernis für eine erfolgreiche Klimapolitik, gerade dann, wenn ein internationales Klimaabkommen geschlossen würde. Klimaneutrale oder klimafreundliche Alternativen für die Nutzung von Erdöl und Gas wären die Lösung dieses „rush to burn“, und zwar eine, die viele Vorteile bringt: Man muss nicht auf kollektive Vereinbarungen warten, die Lösung ist kostengünstig und sie nutzt statt hoher Subventionen und staatlicher Verbote die Kräfte des Marktes für eine erfolgreiche Klimawende.

Konrad, K. A. und Lommerud, K. E., 2021. Effective climate policy needs non-combustion uses for hydrocarbons, Energy Policy. RePEc

August 2022