FISCAL & SOCIAL STATE
Viele Verhaltensweisen und Handlungen einzelner Staaten haben Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen, den Wohlstand und das Wachstum anderer Staaten. Unsere Abteilung analysiert Handlungsbereiche, in denen solche Auswirkungen von besonderer Bedeutung sind. |
Wissenschaftlich geht es darum, beobachtbare Handlungen und deren Ergebnisse auf internationaler Ebene aus der Logik der Ziele der Einzelstaaten zu erklären und zu prognostizieren, bzw. den Zusammenhang zwischen institutionellen Gegebenheiten, den gewählten Handlungen und ihren Ergebnissen zu erforschen. |
Einer unserer Forschungsgegenstände ist die Besteuerung von international mobilen, privaten Akteuren. So können Kapitalgesellschaften beispielsweise über ihre internationalen Standort- und Produktionsentscheidungen ihre Steuerlast zwischen Länder verlagern und verringern. Nationalstaaten sind sich dieser Möglichkeiten bewusst. Die Wahl des nationalen Steuersystems ist eine einzelstaatliche Antwort auf diese Gestaltungsmöglichkeiten. Im Konzert der Nationalstaaten und unter Beteiligung internationaler Organisationen entsteht so das internationale Steuersystem, das dann Auswirkungen auf die Unternehmen und deren Entscheidungen hat. Ein Verständnis des ökonomischen Wettbewerbs zwischen Haushalten und Unternehmen auf der einen Seite und des Wettbewerbs zwischen Staaten auf der anderen Seite ist angesichts dieser Zusammenhänge eine unabdingbare Voraussetzung für kluge und angemessene Steuer- und Finanzpolitik. |
Beispiele aus der Abteilungsforschung:Thunecke, Georg, 2022, Are consumers paying the bill? How international tax competition affects consumption taxation, RSIT Working Paper No. 22–03, PDF Johannesen, Niels und Tim Stolper, 2021, The deterrence effect of whistleblowing, Journal of Law and Economics, 64(4), 821–855. DOI Konrad, Kai A., 2021, Dynamics of the market for corporate tax avoidance advice, Scandinavian Journal of Economics, 123(1), 267–294. DOI Elsayyad, May und Kai A. Konrad, 2012, Fighting multiple tax havens, Journal of International Economics, 86(2), 295–305. DOI Keen, Michael und Kai A. Konrad, 2013, The theory of international tax competition and coordination, in: Auerbach, Alan J., Raj Chetty, Martin Feldstein und Emmanuel Saez (eds.), Handbook of Public Economics, Volume 5, Elsevier, Amsterdam & Oxford, 257–328. DOI |
Ein zweiter Forschungsgegenstand ist der globale Klimawandel. Die Emissionen von Treibhausgasen, die in einem Land erfolgen, tragen zur Gesamtemission von Treibhausgasen in der Welt bei, diese Gesamtemission hat Einfluss auf das Weltklima und beeinträchtigt die Wohlfahrt in allen Einzelstaaten. Geht es um die Vermeidung solcher Emissionen, wird das zentrale Dilemma erkennbar: Die Vermeidung von Emissionen in einem Land zieht volkswirtschaftliche Kosten nach sich, die typischerweise auch von diesem Land getragen werden müssen. Die Vor- und Nachteile aus der Vermeidung für das Weltklima berühren indes nicht nur das einzelne emittierende Land, sondern alle Länder der Staatengemeinschaft. So fallen das Kosten-Nutzen-Kalkül der Emissionsvermeidung des Einzelstaats und seine Kosten- und Nutzenauswirkungen auf die Staatengemeinschaft auseinander. Der Problematik des Auseinanderfallens dieser Kalküle versucht man seit über 25 Jahren mit Hilfe eines internationalen Klimaabkommens zu begegnen. Die Problemlösung ist schwierig. Erstens sind die Interessenlagen der Einzelstaaten recht unterschiedlich. Zweitens entsteht ein zwischenstaatliches Verteilungsproblem, über dessen Lösung unterschiedliche Vorstellungen bestehen. |
Und drittens ist es um die Bindungswirkung internationaler Verträge unter souveränen Staaten nicht gut bestellt. Für die Problemlösung sind zudem weitere Aspekte von Relevanz: beispielsweise die Steuerung des Umweltverhaltens einzelner Wirtschaftssubjekte in den Einzelstaaten, intertemporale Überlegungen zur Nutzung fossiler Brennstoffe, Marktwirkungen eines Abkommens auf das Verhalten der Länder mit großen Öl- und Gasvorkommen etc. Mit diesen Problemen befassen sich auf der Welt sehr viele Forschungsinstitutionen. Unsere Abteilung leistet Beiträge zur Analyse dieser Gesamtproblematik. |
Beispiele aus der Abteilungsforschung:Sherif, Raisa, Are pro-environment behaviours substitutes or complements? Evidence from the field. Working Paper. Latest Draft Sherif, Raisa und Sven A. Simon, Is there a trade-off between efficiency and visibility in pro-environmental behaviours?, forthcoming. Konrad, Kai A. und Kjell Erik Lommerud, 2021, Effective climate policy needs non-combustion uses for hydrocarbons, Energy Policy, 157, Article No.112446. DOI |
Ein anderer wichtiger Forschungsgegenstand ist das Problem der internationalen Sicherheitspolitik. Verteidigungsbündnisse wie die NATO sind prominente Beispiele für das Zusammenwirken mehrerer Staaten auf die internationale Sicherheitslage. Die seit Jahrzehnten andauernden internationalen Debatten und Kontroversen über finanzielle Beiträge der Einzelstaaten zu diesem Sicherheitspakt sowie die Debatten über die Ausrichtung der Bündnispolitik auf Einzelziele haben ihre Ursache in der gleichen grundlegenden Problematik wie der im Bereich der Klimapolitik: Finanzierungslast und Nutzungsvorteile fallen auseinander. Zudem besteht keine völlige Interessenkongruenz, was die Ziele des Bündnisses angeht. Die Erforschung dieser Zusammenhänge erfordert ein tieferes Verständnis dafür, wie Konflikte entstehen, bzw. vermieden werden können und wie solche Fragen mit den institutionellen Gegebenheiten der internationalen Sicherheitsarchitektur zusammenhängen. Hierzu leistet die Abteilungsforschung Beiträge im Bereich der Grundlagenforschung, insbesondere im Bereich der ökonomischen Konfliktforschung und bei der Analyse des Entstehens und der Funktionsweise von Allianzen im Bereich der Sicherheitspolitik.
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Beispiele aus der Abteilungsforschung:Konrad, Kai A., 2023, The collective security dilemma of preemptive strikes, European Journal of Operational Research, forthcoming. Journal Pre-proof DOI Serena, Marco and Stefano Barbieri, 2021, Repeated contests with commitment, Working Paper of the Max Planck Institute for Tax Law and Public Finance No. 2021–16. SSRN Mavridis, Christos and Marco Serena, 2021. Complete information pivotal-voter model with asymmetric group size and asymmetric benefits. European Journal of Political Economy, 67(4). DOI Barbieri, Stefano, Kai A. Konrad and David A. Malueg, 2020, Preemption contests between groups, RAND Journal of Economics, 51(3), 934–961. DOI Konrad, Kai A., 2020, Attacking and defending multiple valuable secrets in a big data world, European Journal of Operational Research, 280(3), 1122–1129. DOI |
NATO Hauptquartier in Brüssel, Belgien, 21. Februar 2013 (DoD Photo by Glenn Fawcett)
Die Garantie von Eigentumsrechten und die Möglichkeit, vertragliche Ansprüche rechtlich durchzusetzen, gehören zu den bedeutendsten Leistungen moderner Staaten. Die Vorteile rechtsstaatlicher Institutionen werden immer da deutlich, wo Eigentumsrechte nicht oder ungenügend definiert sind. Prominente Beispiele sind politische oder militärische innerstaatliche oder internationale Konflikte, Einzelpersonen oder Unternehmen, die vor Gericht für ihre Interessen streiten, und vor allem der Konflikt der wirtschaftlichen und politischen Interessengruppen gegeneinander. Diesen und einigen weiteren Interaktionen liegt ein einheitliches Muster zu Grunde, das in der sogenannten Contest-Theorie (auch ‚Theorie der all-pay-Auktionen‘) abstrakt analytisch, empirisch und in Labor- und Feldexperimenten erforscht wird. Die den einzelnen Situationen zu Grunde liegenden spieltheoretischen Strukturen haben einerseits Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich aber oft auch in Details, und dies kann erhebliche Auswirkungen auf das Geschehen in der Konfliktsituationen haben. Aus Sicht der ökonomischen Konfliktforschung gilt es, den Ablauf von solchen Konflikten und ihre Abhängigkeit von institutionellen Gegebenheiten besser zu verstehen. Ein solches Verständnis trägt auch zu einem übergeordneten Ziel bei: die innere Stabilität von politischen Systemen und Institutionen sowie ihre Entstehung zu begreifen. Die Ergebnisse und Analyseinstrumente, die innerhalb der ökonomischen Konfliktforschung entwickelt werden, leisten wesentliche Erklärungsbeiträge zum Verstehen von Konfliktsituationen in den genannten Bereichen.
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Ein junger und wichtiger konkreter Forschungsgegenstand ist in diesem Zusammenhang der zwischenstaatliche Konflikt zwischen Großmächten. Soweit dieser Konflikt mit diplomatischen und militärischen Mittel ausgetragen wird, besteht ein kaum überschaubarer Fundus an wissenschaftlichen Theorien, empirischen Befunden und anderen Erkenntnissen, die in die Politikwissenschaft und insbesondere den Teildisziplinen Internationale Beziehungen und Militärstrategie hineinragen. Bei der Betrachtung des seit einigen Jahren aufkeimenden Konflikts zwischen den USA und China spielen indes neben diesen klassischen Aspekten wirtschaftliche Zusammenhänge eine immer größere Rolle. Zwar ist schon lange bekannt, dass wirtschaftliche Stärke sich letztlich in militärische Stärke übersetzt. Weniger offensichtlich ist indes, dass sich wirtschaftspolitisches Gestaltunghandeln in Form von Handelspolitik, Innovationspolitik, Industriepolitik, Finanzmarktpolitik etc. direkt als Instrumente dieser Auseinandersetzungen einsetzen lässt. Es wurde hierfür der Begriff „Geo-Economics“ – korrespondierend zu dem älteren Begriff Geopolitik – geprägt. |
Beispiele aus der Abteilungsforschung: Kai A. Konrad und Marcel Thum, 2023, Elusive effects of export embargoes for fossil energy resources. Energy Economics, 117, Article No. 106441. DOI |
Eine zentrale Fragestellung in der Finanzwissenschaft berührt das Verhältnis von Individuum und Staat. Dabei geht die methodologisch-individualistische Wirtschaftswissenschaft davon aus, dass die handlungstragenden Akteurinnen und Akteure der Anschauungswelt stets Einzelindividuen sind, ausgestattet mit einem Set von Handlungsoptionen und Wahlentscheidungen, mit denen sie ihre Aktionen an ihren Handlungszielen und Präferenzen ausrichten. In der Interaktion mit ihren Mitmenschen haben Handlungen nicht nur für die Handlungsträgerinnen und Handlungsträger selbst Auswirkungen, sondern auch für andere Personen und Personengruppen innerhalb einer Gruppe oder eines staatlichen Gefüges. Dieses individualistische Konzept einer Gemeinschaft gibt dem Staat und seinen Institutionen keine eigene Identität oder Persönlichkeit. Staatliche Institutionen sind nur institutionelle Rahmenbedingungen ohne eigenen Willen oder eigene Handlungsziele. Sie sind selbst ein Konstrukt, das sich aus den Handlungsmöglichkeiten und Interessen derer ergibt, die in und für staatliche Institutionen tätig sind. Aus deren Handlungen entsteht so „der Staat“, der auch Lenkungswirkungen für individuelles Handeln entfaltet. Ein wesentliches Element solcher staatlichen Institutionen besteht darin, dass Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Entscheidungsgewalt an andere Handlungsträgerinnen und Handlungsträger delegieren – in einer repräsentativen Demokratie beispielsweise an gewählte oder von gewählten Vertreterinnen und Vertretern indirekt legitimierte Personen. Diese Delegationsbeziehung gehört zu den interessantesten und wichtigsten Forschungsobjekten der Finanzwissenschaft. Positive Forschungsfragen bestehen u.a. darin zu verstehen, wie mögliche institutionelle Ausgestaltungen dieses „Delegationsvertrags“ auf die Anreize der Delegierten wirken. Sie werden im Rahmen der Public Choice / Political Economy ausgiebig beforscht. Die Politische Ökonomie hat indes auch normative Elemente: Sie bestehen darin zu beurteilen, wie das Entscheidungsverhalten der Delegierten auf das Wohlergehen der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zurückwirkt. Letzteres setzt voraus, dass es eine Maßgröße für dieses Wohlergehen gibt. Traditionell wird in den Wirtschaftswissenschaften das Handlungsergebnis anhand einer Skala bewertet, die sich aus dem eigenen Beurteilungsmaßstab der betroffenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger selbst ableitet. |
Gutes staatliches Handeln definiert sich also so, dass durch dieses Handeln die individuellen Ziele und Präferenzen der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger möglichst weitgehend erreicht werden. Der Delegationszusammenhang führt zu einer der Kernfragen der Finanzwissenschaft: Wie weit sollte die Delegation individuellen Entscheidungsverhaltens an politische oder bürokratische Stellen gehen? Es tut sich hier u.a. das Spannungsfeld zwischen der Entscheidungsautonomie der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und der paternalistischen Vorgaben der Politik oder Bürokratie gegenüber den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern auf. Dieses Spannungsfeld gehört zu den ältesten Themen der Staatswissenschaften und spiegelt sich auch in den jüngsten Forschungsfragen der Abteilung. Die Abteilung erforscht in diesem Zusammenhang zunächst die unterschiedlichen Einstellungen von individuellen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zur gewünschten Rolle des Staats in diesen Entscheidungsfragen. Da diese Einstellungen mutmaßlich in ihren letzten Ursachen nicht in sich selbst begründet liegen, drängt sich die Frage nach den Ursachen dieser Einstellungen auf: Warum wünschen welche Personen wichtige Entscheidungen, die sich auf ihr eigenes Wohlbefinden auswirken, selbst zu treffen und warum wünschen andere Personen diese Entscheidungen an einen staatlichen Apparat zu delegieren? |
Beispiele aus der Abteilungsforschung: Konrad, Kai A., 2023, The Political Economy of Paternalism, Working Paper of the Max Planck Institute for Tax Law and Public Finance No. 2023–02, 2023. SSRN Simon, Sven und Kai A. Konrad, 2021, Paternalism Attitudes and the Happiness Value of Fundamental Freedoms, Working Paper of the Max Planck Institute for Tax Law and Public Finance No. 2021–04, 2021. SSRN Barbieri, Stefano, und Kai A. Konrad, 2021, Overzealous rule makers, Journal of Law and Economics, 64(2), 341–365. DOI |
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