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Gelegenheit macht Diebe? Wer betrügen will, sucht auch die Gelegenheit

Nicht allen Dieben bereitet das Betrügen Bauchschmerzen. Photo: iStock/maodesign

Eine Studie am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen zeigt, dass unehrlich verdientes Geld den einen stinkt, die anderen aber geradezu anzieht. Wenn sie die Wahl haben, suchen sich manche Menschen bewusst Situationen aus, in denen sie betrügen können. Für sie ist das Lügen mit niedrigeren psychologischen Kosten verbunden.

Dass eine günstige Gelegenheit Menschen dazu verführt zu betrügen, ist eine altbekannte Tatsache. Aber wie viele Leute nutzen es aus, wenn sich ihnen eine solche Möglichkeit bietet? Und wie viele ziehen eine ehrliche Alternative vor? Diese Fragen haben Ökonomen vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin in einer experimentellen Studie untersucht. Dabei fanden sie heraus, dass Menschen nicht nur betrügen, weil sich die Gelegenheit ergibt, sondern dass sich manche Menschen auch bewusst in solche Situationen begeben. Und wenn sich dann die Chance bietet, betrügen sie mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit als Menschen, die eine solche Situation lieber vermieden hätten und eher unfreiwillig hineingeraten sind (in der Studie: 73 Prozent vs. 22 Prozent). Ob Menschen in diesem Sinne korrumpierbar sind, hängt dabei mit den Kosten zusammen, die das Lügen für sie hat – Kosten, die z.B. in ihren individuellen moralischen Vorstellungen oder in sozialen Normen begründet sind. Unter den Teilnehmer*innen der Studie sahen 50 Prozent im Experiment ganz vom Betrügen ab; etwa 30 Prozent der Teilnehmer*innen hatten überhaupt kein Problem damit zu lügen, und rund 20 Prozent der Proband*innen, die sich eigentlich für eher ehrliche Verdienstmöglichkeiten entschieden hatten, nahmen eine sich bietende Gelegenheit zum Betrügen dennoch wahr.

„Wir haben gezeigt, dass sich Menschen entsprechend ihrer Lügenkosten für ehrliche und unehrliche Verdienstmöglichkeiten entscheiden und dann auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit betrügen oder ehrlich bleiben. Nicht nur macht die Gelegenheit Diebe, der Dieb sucht auch die Gelegenheit“, sagt Sven A. Simon, einer der Autoren der Studie. „Den Studienergebnissen zufolge könnten unehrliche Menschen beispielsweise auch eher dazu neigen, Berufe zu wählen, die ihnen Möglichkeiten zum Betrügen eröffnen. Entsprechende Screening-Verfahren für Bewerber*innen könnten sinnvoll sein.“

Um ihre Forschungsfrage zu beantworten, führten Kai A. Konrad und Sven A. Simon vom MPI für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen sowie Tim Lohse von der HWR Berlin ein mehrstufiges Laborexperiment durch, bei dem die Studienteilnehmer*innen eine bestimmte Geldsumme verdienen konnten: entweder indem sie falsche Angaben über ihren Gewinnanspruch machten oder indem sie Investitionen tätigten, die ihre Gewinnchancen erhöhten. Genauer gesagt wurden sie zwei unterschiedlichen Entscheidungssituationen ausgesetzt, in denen ihr Verhalten beobachtet und verglichen wurde.

„Ehrliche“ Runde: Proband*innen bereit, für höhere Verdienstchancen zu zahlen

In der „ehrlichen“ Runde nahmen die Proband*innen an einer Lotterie teil. Sie erhielten ein Los, das mit großer Wahrscheinlichkeit eine Niete war und sie leer ausgehen ließ, aber mit geringer Wahrscheinlichkeit einen Gewinn von 12 Euro brachte. Für dieses Lotterielos musste sie nichts zahlen. Gegen Zahlung eines Aufpreises konnten sie dieses Los jedoch in ein Los mit deutlich höherer Gewinnwahrscheinlichkeit eintauschen. Dazu wurde abgefragt, welchen Aufpreis sie maximal bereit wären, für diesen Lostausch zu bezahlen. Fast alle Proband*innen waren in dieser Situation bereit, für das „gute“ Lotterielos etwas zu zahlen. Für viele reichte diese Zahlungsbereitschaft bis zu einem Betrag, um den der erwartete Gewinn des „guten“ Loses höher war als für das „schlechte“ Los, oder sogar darüber hinaus.

Zahlungsbereitschaft sinkt in der „unehrlichen“ Runde

Was aber, wenn sich der Verdienst von 12 Euro auch mit Betrug erreichen lässt? Mit einer solchen Situation wurden die Proband*innen in der „unehrlichen“ Runde konfrontiert: Hier bestimmte nun nicht das tatsächliche Ergebnis der Lotterie ihren Verdienst. Vielmehr mussten sie das Ergebnis der Auslosung selbst angeben und konnten einfach behaupten, sie hätten gewonnen. Ohne Nachweis oder Überprüfung wurde ihnen dann 12 Euro ausgezahlt.
Auch in dieser Situation konnten die Proband*innen das „schlechte“ Los mit der geringen Gewinnwahrscheinlichkeit gegen einen Aufpreis in das „gute“ Los mit deutlich höherer Gewinnwahrscheinlichkeit eintauschen.
Wie die Wissenschaftler vermutet hatten, war die Bereitschaft, für das „gute“ Los zu zahlen, in dieser „unehrlichen“ Runde geringer. Aber es gab deutliche Unterschiede: 34 Prozent der Proband*innen reduzierten ihre Zahlungsbereitschaft im Vergleich zur „ehrlichen“ Situation teilweise erheblich, während 61 Prozent eine weitestgehend unveränderte und 5 Prozent sogar eine höhere Zahlungsbereitschaft hatten.  

Mehr noch als die Gelegenheit zählt die persönliche Disposition

Zudem zeigte sich: Diejenigen, die trotz der Gelegenheit zu betrügen bereit waren, für das „gute“ Los zu bezahlen, blieben meistens ehrlich, auch wenn ihr Los eine Niete war. Umgekehrt waren diejenigen, die das „gute“ Los nicht kauften, auch meistens „unehrlich“, wenn sich die Gelegenheit ergab. Die unehrlichen Proband*innen waren in der Situation mit erzwungener Ehrlichkeit bereit, ebenso viel für das „gute“ Los zu bezahlen wie die ehrlichen Proband*innen. In der Situation mit der Möglichkeit zu lügen war die Zahlungsbereitschaft der Unehrlichen jedoch deutlich niedriger. Sie wählten also bewusst die Möglichkeit zu lügen. Und genauer: Unter den Personen mit einer geringen Zahlungsbereitschaft für das „gute“ Los logen 73 Prozent und erschummelten sich 12 Euro, obwohl sie eigentlich leer ausgegangen wären. Hingegen entschieden sich von den Proband*innen mit hoher Zahlungsbereitschaft nur 22 Prozent dafür zu lügen, wenn sie trotz hoher Gewinnwahrscheinlichkeit verloren hatten.

Konrad, K. A., Lohse, T. und Simon, S. A., Pecunia non olet: on the self-selection into (dis)honest earning opportunities. Experimental Economics, im Erscheinen. 

DOI: 10.1007/s10683-020-09691-7

Juli 2021