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Ein Steuerrecht für schwere Wetter

Photo: iStock/jcgwakefield

Durch die Pandemie erleiden viele Unternehmen verheerende Verluste, nicht wenige sogar Schiffbruch. Dem Staat brechen Steuereinnahmen weg, gleichzeitig wachsen die Ansprüche. „Kann unser Steuerrecht mit dieser Katastrophe fertig werden?“, fragte Wolfgang Schön bei der digitalen Münchner Steuerfachtagung 2020. Mit dem Leitgedanken, Steuersätze zu senken und gleichzeitig den Abzug betrieblicher Ausgaben und Verlusten zu untersagen, um die Bemessungsgrundlage zu erweitern, sei das deutsche Steuerrecht seit den 80er Jahren über alle Koalitionswechsel hinweg auf Schönwetterkurs gebracht worden. Es behandelt Gewinne und Verluste systematisch ungleich, sozialisiert erstere durch Steuern, privatisiert letztere durch Abzugsverbote. Es bevorzugt somit stabile Erträge vor dem unternehmerischen Wagnis, bürdet das Risiko des Scheiterns alleine dem Verlierer auf und verzerrt unternehmerische Entscheidungen. Verlusttragende Unternehmen und ihre Vertragspartner lässt es alleine auf hoher See zurück. Wolle man Gewinne und Verluste symmetrisch und systematisch sinnvoll behandeln, müssten Verluste mit einer negativen Einkommensteuer ausgeglichen werden. Doch bei einer solchen fürchte der Staat Missbrauch und Täuschung. Was also tun?

Wie kann Steuerpolitik den Weg durch die Unwetter weisen?

Um das Staatsschiff und die Unternehmenskapitäne durch die tobende See zu navigieren, muss die Steuerpolitik in drei Dimensionen reagieren, sagt Schön: Sie muss die Liquidität der Unternehmen sichern, und ihre Verluste abfedern, bis der Sturm abwendet. Sie muss eine Lösung finden, um sinkende Staatseinnahmen sowie steigende Staatsausgaben zu finanzieren. Schließlich muss sie Unternehmen dabei unterstützen, nach der akuten Krise wieder in ruhiges Fahrwasser zu gelangen. Schön zeichnete die Vorkehrungen zur Sicherung der Liquidität in der Covid-19-Krise nach. Sie hätten in den ersten Wochen und Monaten der Pandemie schnell und unbürokratisch Hilfe gebracht. Systematisch viel wichtiger und bei Weitem nicht ausreichend, seien hingegen die getroffenen Maßnahmen, um Unternehmensverluste abzufedern. Da eine Negativsteuer nicht realistisch ist, rät Wolfgang Schön als Second-Best-Lösung dringend dazu, die Möglichkeiten zu erweitern, aktuelle Verluste mit vorausgehenden oder nachfolgenden Gewinnen zu verrechnen. Der Betrag, bis zu dessen Höhe negative Einkünfte rückwirkend geltend gemacht werden können, sei zwar im Rahmen des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes erhöht worden, für viele mittelständische und große Unternehmen aber längst nicht in ausreichendem Maße. Beim so genannten Verlustvortrag, der negative Einkünfte mit Gewinnen aus späteren Jahren verrechnet, kritisiert Schön die geltende Mindestbesteuerung. Sie könne Unternehmen, die nach der akuten Krise langsam wieder Fahrt aufnehmen, den Wind aus den Segeln nehmen. Das oft gehörte Argument, gerade in Krisenzeiten müsse sich der Fiskus auf seine Haushaltsplanung verlassen können und diese würde durch die Verlustverrechnung in Frage gestellt, entkräftet Schön. Viele Unternehmen bräuchten erst gar keine Hilfsprogramme, wenn der Staat Verlustrücktrag und Verlustvortrag ausbaut. Statt Unternehmen zu subventionieren und damit auch in das Marktgeschehen einzugreifen, tritt er wie ein stiller Teilhaber auf, der an den Gewinnen, aber auch an den Verlusten beteiligt ist. Schließlich seien Unternehmen, die in einer Verlustphase keinen Ausgleich erhalten, häufig gezwungen, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Die private Kreditaufnahme fiele ihnen aber unter schwierigen Wirtschaftsbedingungen viel schwerer als der öffentlichen Hand. Womit wir bei der Frage der Finanzierung wären.

Woher soll das Geld kommen?

Schön kritisiert, jetzt sei nicht die Zeit für eine „ideologisierte Diskussion“, die klassische Streitfragen der Besteuerung aufwärmt. Wer große Vermögen besteuern will, belaste produktiv eingesetztes Kapital. Eine frühzeitige Abschaffung des Solidaritätszuschlages oder eine Senkung der Umsatzsteuer führten nicht zum Ziel, da es aktuell nicht an Kaufkraft fehle. Wie auch viele andere Vorschläge, etwa Unternehmenssteuersätze zu senken, gingen sie an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei. Wer keine Gewinne macht, dem nutzen auch keine Steuersenkungen. Eine dramatische Verbesserung der Verlustausgleichsregeln hingegen sei zielgenau und würde helfen, die Unternehmen wieder auf Kurs bringen, die am allermeisten in Seenot geraten sind.

 

Zu diesem Thema erschien auch ein Artikel von Wolfgang Schön in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/massnahmen-in-der-corona-pandemie-steuerrecht-fuer-katastrophen-16728215.html

September 2020